Mit ihrer politischen Agenda und ihren Aktionen hat es Alexandria Ocasio-Cortez binnen weniger Monaten geschafft, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen als viele ihrer lang – gedienten Kollegen. Videos von ihren Ausschüssen, wo sie durch gezielte Fragen die legalen Möglichkeiten von Korruption aufzeigt, verzeichnen auf Youtube Millionen von Aufrufen. Doch ihr wichtigstes Projekt ist der Green New Deal, ihre Kampfansage gegen den Klimawandel. Sie beruft sich auf den Weltklimarat der Vereinten Nationen, das weltweit wichtigste wissenschaftliche Gremium zum Thema Klimawandel. Genau jenes Gremium, das letztes Jahr verkündet hat, dass wir nur noch elf Jahre bis 2030 Zeit haben, um unsere CO 2 -Emissionen zu halbieren (und noch bis 2050, um diese netto auf Null zu senken). Ansonsten können wir die Erderwärmung nicht mehr senken und eine Kettenreaktion wird für hunderte Millionen von Menschen zu Armut, Hungersnot und zum vermeintlichen Tod führen.
Was aber bedeutet es, die CO2-Emissionen zu halbieren?
Nach Alexandria Ocasio-Cortez, bedeutet es, dass wir alles neu denken und alles ändern müssen: Wie wir uns und unsere Güter transportieren, wie wir arbeiten, wie wir Dinge produzieren, wie wir leben. Sie hat geringe Hoffnung, dass der Markt sich diesbezüglich selbst regulieren will. Der Green New Deal ist ein ambitioniertes, umfassendes Programm für die USA, um in grüne Energie, grüne Arbeitsplätze aber auch in Bildung, Gesundheitsfürsorge für alle und noch Vieles mehr zu investieren. Nun ist fraglich, ob Cortez mit diesen Forderungen erfolgreich sein wird, der Green New Deal wird sowohl von den Republikanern als auch von ihren demokratischen Parteikollegen als zu ambitioniert, zu teuer und unrealistisch abgetan.
Auch haben die Abwehrkräfte des Systems schon begonnen, sich auf ambitionierte Abgeordnete einzuschießen. FOX News und andere konservative Medien sprechen über sie öfter und negativer als über andere demokratische Kandidaten; selbst der polarisierende Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders wird nicht so oft attackiert – was zu einem Einbruch der Umfrageergebnisse von Cortez geführt hat. Man muss ihre Politik nicht mögen, aber es stellt sich die Frage, welche anderen politischen Entscheidungsträger die Herausforderung Klimawandel so klar und eindeutig adressieren. Die traurige Wahrheit ist, dass wohl nicht nur Cortez, sondern auch andere mutige Politiker im mächtigen Gegenwind von Konzernen und Lobbyingorganisationen nicht erfolgreich sein werden. Weder in den USA noch in Europa.
Und Europa?
Welche Politiker in Europa verstehen, dass wenn wir hier nicht schnell etwas ändern, sich das sehr bald sehr negativ auf uns alle auswirken wird? Wie soll Europa überhaupt aus sich heraus Druck auf die wahren Klimasünder in Amerika oder Asien ausüben? Wer entwickelt ambitionierte Pläne und entwirft Rahmenbedingungen, weil der Markt sich alleine nicht (schnell genug) selbst reguliert? Der Verhaltenswissenschaftler Daniel Kahneman, Autor des Bestsellers „Schnelles Denken, Langsames Denken“ sagt in Sachen Problemstellung sei der Klimawandel der Supergau für den Menschen bzw. für das menschliche Hirn. Es ist hochkomplex, negative Änderungen werden tendenziell nicht von denen wahrgenommen die am meisten dazu beitragen. Änderungen haben zudem lange Zyklen und es dauert lange bis positive Effekte überhaupt spürbar werden.
Wir brauchen dringend eine neue Art des Leadership, das sich dieser Herausforderung stellt. Wir brauchen Leader, die sich klar zu diesem Thema bekennen, auch wenn man mit anderen Themen mehr Emotionalisieren kann, auch wenn der Veränderungsprozess kurzfristig anstrengend aber langfristig überlebensnotwendig ist. Aber wo schauen wir hin, wenn wir diese Leader nicht im Zentrum der Entscheidungsmacht finden? Wir finden sie dort, wo Innovation meistens beginnt, an der Peripherie, am Rand, in den Nischen, dort wo in kleinen Experimentierstätten das Neue entworfen wird. Dort finden wir schon heute eine neue Art von Leadern, die unter anderem an dem Experiment die Wirtschaft ganz neu zu denken und zu praktizieren arbeiten.
Dieses neue Experiment heißt Social Business. Social Businesses haben als oberstes Ziel die messbare positive Wirkung auf die Gesellschaft, in dem sie ein soziales oder ökologisches Problem lösen – und das mit einem skalierbaren, nachhaltigen und oftmals profitablen Geschäftsmodell. Ein Profit ist dem Impact, also der positiven Wirkung aber hintan gereiht. So ermöglicht das Unternehmen WADI mit einem einfachen Gerät, verunreinigtes Wasser wieder trinkbar zu machen. Ein Problem, das zwei Milliarden Menschen täglich betrifft. Compuritas nimmt gebrauchte aber vollfunktionsfähige Computer von Großunternehmen ab, rüstet sie wieder auf und bietet sie am Markt zu leistbaren Preisen wieder an und verhindert so, dass die Geräte als Schrott auf der Müllhalde landen. Die Digitalplattform CLEANVEST ermöglicht es Privatinvestoren, in klimaschonende und sozial nachhaltige Fonds zu investieren.
Enkeltauglichkeit
Wenn wir für unsere Kinder und Enkelkinder einen Planeten hinterlassen wollen, auf dem es sich gut leben lässt, dann müssen wir uns diese Social Businesses ansehen und von ihnen lernen. Wie führen sie ihre Organisationen? Wie schaffen sie es, ein Impact- Ziel zu verfolgen und dabei trotzdem nachhaltig zu wirtschaften und zu wachsen? Wie mussten sie ihre Finanzierung und ihre Organisationsstrukturen umdenken, um dies zu ermöglichen? Das Experiment Social Business geht uns alle an. Und viele Vordenker aus der Wirtschaft beginnen bereits, mit diesen Social Businesses zu kooperieren und von ihnen zu lernen. Europäische Unternehmen lernen, wie sie gemeinsam mit Social Businesses ganz neue Märkte erreichen können.
Für das norwegische Mobilfunkunternehmen Telenor war die Partnerschaft mit Grameen, dem Social Business aus Bangladesch, um gemeinsam Mobiltelefone für Menschen am Sockel der Einkommenspyramide anzubieten, für längere Zeit der profitabelste Geschäftszweig. Das österreichische Unternehmen ANDRITZ experimentiert gerade mit Social Businesses in Madagaskar um mit Mini-Wasserkraftwerken für kleine Dörfer Energie zu erzeugen. Wenn das gelingt, gäbe es dafür weltweit einen riesigen Markt.
Viele Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema Kreislaufwirtschaft bei dem der gesamten Wertschöpfungsprozess so umgestellt wird, dass dabei keine Abfallprodukte mehr entstehen, sondern dass alles – auch das fertige Produkt am Ende des Lebenszyklus – wieder in die Wertschöpfung integriert werden kann. Zu ihrer eigenen Verwunderung kommen sie dabei auf innovative Lösungen, die sich nicht nur nachhaltig auf die Umwelt, sondern auch auf ihr wirtschaftliches Ergebnis auswirkt.
Wenn wir die Erderwärmung stoppen wollen, müssen wir alles ändern. Dafür braucht es zuerst vor allem eine mentale Umstellung in den Köpfen und dafür benötigen wir ein Leadership, das dieses vorlebt. Auch wenn wir derzeit in Europa kein Pendant zu der amerikanischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez haben, so haben wir unzählige Leader von Social Businesses, die uns vorleben, wie diese Veränderung aussehen kann. Lasst uns von ihnen lernen und mit ihnen kooperieren.
Über den Autor:
Matthias Reisinger ist geschäftsführender Vorstand bei der Stiftung für Wirtschaftsbildung in Wien. Er war Mitgründer des Impact Hub Vienna und Leiter der Abteilung für Entrepreneurship und Kreativwirtschaft der Austria Wirtschaftsservice.
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