Gerade in Zeiten der digitalen Reizüberflutung, in der unsere Aufmerksamkeitsspanne kontinuierlich abnimmt und selbst die Informiertesten sich schwer tun, Fake News zu entlarven, bieten simple Lösungen eine vermeintlich gute Antwort. Aber die Tatsache bleibt: Die Welt ist komplex. Der einzige Weg Antworten zu finden, ist sich mit ihrer Komplexität und ihrer Vielfalt auseinanderzusetzen. Nicht nur rational, sondern auch emotional – auf einer ganz persönlichen Ebene, in persönlichen Begegnungen.
Was passiert, wenn wir unsere Augen voreinander verschließen, zeigen zum Beispiel die Zustimmungswerte zur AfD, die dort am stärksten sind, wo der Ausländeranteil am geringsten ist. Oder der „EU Cohesion Monitor 2019“ des European Council on Foreign Relations, der belegt, dass der Austausch mit Bürgern anderer EU-Staaten in Ungarn und Griechenland am geringsten ist – beides Länder mit starken Rechtsparteien. Es sollte uns insofern beunruhigen, dass 190 Millionen EU-Bürger noch nie ihr eigenes Land verlassen haben. Genau dort müssen wir ansetzen.
Es hat wohl kein Projekt mehr zur europäischen Integration beigetragen als die tausenden Freundschaften und Liebschaften, die durch das Studierenden-Austauschprogramm Erasmus in WGs und auf Partys am ganzen Kontinent entstanden sind.
Erasmus hat in den letzten 30 Jahren neun Millionen Studierenden ermöglicht, im Ausland zu studieren – und dabei geschätzt eine Million „Erasmus-Babys“ in die Welt zu setzen. Dass sich 83 Prozent danach stark mit Europa verbunden fühlen, überrascht wenig. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die weniger bildungsbürgerliche Initiative #FreeInterrail, die Gratis-Zugtickets für alle 18-jährigen EU-Bürger fordert. Was als naive Idee zweier Berliner Jungs begann, hat sich zum EU-finanzierten Pilotprojekt „DiscoverEU“ gemausert, das 2018 30.000 Jugendlichen eine Reise ermöglichte. Für den siebenjährigen Finanzrahmen ab 2021 sind weiter 1,5 Millionen Tickets geplant.
Es ist dieser Austausch mit der Vielfalt Europas, der eine europäische Identität entstehen lässt. Denn das bedeutet nicht, dass wir alle gleich sein müssen. Vielmehr ist es die Fähigkeit mit Unterschieden umzugehen und die Bereitschaft diese als Chance zu sehen und voneinander zu lernen. Und das ist nicht Studierenden vorbehalten. Gefühle sind kein Privileg der Jugend. Es liegt an uns allen, uns aufeinander zuzubewegen, uns auszutauschen und Empathie füreinander zu stärken. Denn selbst in den Cafeterias der Europäischen Institutionen, in den Gängen der Brüsseler Lobbybüros oder in den Reihen nationaler Parlamente sitzen Menschen. Menschen mit politischen und wirtschaftlichen Interessen, aber auch Menschen mit Emotionen. Es ist uns allen gemein, zu entscheiden, ob diese Emotionen uns dazu bewegen, für- oder gegeneinander zu agieren.
Diese Entscheidung wird selten im Kopf getroffen. Sondern ein Stück weiter unten. Dort wo auch eine europäische Identität entsteht. Und wenn wir die spüren, steht am Ende keine Frage mehr. Sondern eine Antwort. Nämlich Europa. Ohne Fragezeichen. Dann passt ein Rufzeichen besser.
Es keat oanfach mehr gschmust in Europa.
Eine Europäische Identität ist kein „nice-to-have“ für Erasmus-Studenten, sondern unabdingbare Grundlage für Kooperation und Fortschritt in Europa. Fragt sich nur, ob es sie gibt. Und wie sie entsteht.
Am Anfang steht eine Frage. Warum? Ein großes Fragezeichen hängt sich an ein Wort, das manchen zur Freude, einigen zum Schaudern, den meisten aber zum Schulterzucken gereicht: Warum Europa? Was haben wir davon, uns in Europa von ei – nem technokratischen Konstrukt namens Europäische Union in eine künstliche Einheit pressen zu lassen? Und wie genau soll bei Sternchen-Flagge, „Freude schöner Götterfunken“ oder Europatag- Stehempfängen ein europäisches Identitätsgefühl aufkommen? Rein rational lässt sich die Frage, „warum Europa?“, mit einem Zitat von Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei beantworten: „Either we are going to succeed all together or we are going to fail one after the other.“
Die Bedrohungen und Herausforderungen unserer Zeit sind allesamt global. Unter den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung definieren, ist kein einziges, das nur einen Staat betreffen würde, geschweige denn von ihm gelöst werden könnte. Zeitgleich führen das Erstarken Chinas, das Machtstreben Russlands oder die Isolation Amerikas zu einem, wie es Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, nennt „Epochenbruch“.
Auf diesem geopolitischen Spielfeld nimmt die EU mit aktuell 500 Millionen Bürgern gerade einmal sieben Prozent der Weltbevölkerung und drei Prozent der Landmasse ein. Glauben diese sieben Prozent tatsächlich, dass sie als 28 oder 27 Einzelteilchen mehr bewegen können, als gemeinsam? Ist es nicht schlichtweg logisch, dass wir als Europäer zusammenhalten und das 17. SDG, nämlich Kooperation, zur Erreichung der anderen 16 Ziele an oberste Stelle setzen müssen? Logisch? Ja. Nur vergessen wir einen wesentlichen Faktor: Der Mensch ist kein rationales Wesen. Sondern, ganz im Gegenteil, hoch emotional.
Emotionen beeinflussen sämtliche unserer Gedanken und Handlungen, sie sind unsere größte Triebkraft. Sie bestimmen nicht nur, welches Müsli wir kaufen, welchen Beruf wir wählen und in welchen Partner wir uns verlieben, sondern auch unsere Weltsicht und damit unsere politischen Einstellungen. Rechtspopulisten wissen diesen Umstand hervorragend zu nutzen. Während Pro-Europäer bei Diskussionsveranstaltungen die Vorzüge der EU erklären, haben die Populisten die Welt bereits in Gut und Böse aufgeteilt und möglichst simple Lösungsansätze parat.
„Europa heißt, mit den Unterschieden umzugehen und die Bereitschaft zu haben, diese als Chance zu sehen und voneinander zu lernen.“
Gerade in Zeiten der digitalen Reizüberflutung, in der unsere Aufmerksamkeitsspanne kontinuierlich abnimmt und selbst die Informiertesten sich schwer tun, Fake News zu entlarven, bieten simple Lösungen eine vermeintlich gute Antwort. Aber die Tatsache bleibt: Die Welt ist komplex. Der einzige Weg Antworten zu finden, ist sich mit ihrer Komplexität und ihrer Vielfalt auseinanderzusetzen. Nicht nur rational, sondern auch emotional – auf einer ganz persönlichen Ebene, in persönlichen Begegnungen.
Was passiert, wenn wir unsere Augen voreinander verschließen, zeigen zum Beispiel die Zustimmungswerte zur AfD, die dort am stärksten sind, wo der Ausländeranteil am geringsten ist. Oder der „EU Cohesion Monitor 2019“ des European Council on Foreign Relations, der belegt, dass der Austausch mit Bürgern anderer EU-Staaten in Ungarn und Griechenland am geringsten ist – beides Länder mit starken Rechtsparteien. Es sollte uns insofern beunruhigen, dass 190 Millionen EU-Bürger noch nie ihr eigenes Land verlassen haben. Genau dort müssen wir ansetzen.
Es hat wohl kein Projekt mehr zur europäischen Integration beigetragen als die tausenden Freundschaften und Liebschaften, die durch das Studierenden-Austauschprogramm Erasmus in WGs und auf Partys am ganzen Kontinent entstanden sind.
Erasmus hat in den letzten 30 Jahren neun Millionen Studierenden ermöglicht, im Ausland zu studieren – und dabei geschätzt eine Million „Erasmus-Babys“ in die Welt zu setzen. Dass sich 83 Prozent danach stark mit Europa verbunden fühlen, überrascht wenig. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die weniger bildungsbürgerliche Initiative #FreeInterrail, die Gratis-Zugtickets für alle 18-jährigen EU-Bürger fordert. Was als naive Idee zweier Berliner Jungs begann, hat sich zum EU-finanzierten Pilotprojekt „DiscoverEU“ gemausert, das 2018 30.000 Jugendlichen eine Reise ermöglichte. Für den siebenjährigen Finanzrahmen ab 2021 sind weiter 1,5 Millionen Tickets geplant.
Es ist dieser Austausch mit der Vielfalt Europas, der eine europäische Identität entstehen lässt. Denn das bedeutet nicht, dass wir alle gleich sein müssen. Vielmehr ist es die Fähigkeit mit Unterschieden umzugehen und die Bereitschaft diese als Chance zu sehen und voneinander zu lernen. Und das ist nicht Studierenden vorbehalten. Gefühle sind kein Privileg der Jugend. Es liegt an uns allen, uns aufeinander zuzubewegen, uns auszutauschen und Empathie füreinander zu stärken. Denn selbst in den Cafeterias der Europäischen Institutionen, in den Gängen der Brüsseler Lobbybüros oder in den Reihen nationaler Parlamente sitzen Menschen. Menschen mit politischen und wirtschaftlichen Interessen, aber auch Menschen mit Emotionen. Es ist uns allen gemein, zu entscheiden, ob diese Emotionen uns dazu bewegen, für- oder gegeneinander zu agieren.
Diese Entscheidung wird selten im Kopf getroffen. Sondern ein Stück weiter unten. Dort wo auch eine europäische Identität entsteht. Und wenn wir die spüren, steht am Ende keine Frage mehr. Sondern eine Antwort. Nämlich Europa. Ohne Fragezeichen. Dann passt ein Rufzeichen besser.
Dieser Artikel erschien in der von Schumbeta kuratierten Sonderausgabe des Tiroler eco.nova Magazins mit einer Printauflage von 25.000 Stück. → Mehr dazu
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Foto: Daniel Willinger
Über die Autorin: Katharina Moser ist gesellschaftspolitische Unternehmerin und Gründerin der Agentur MOSAIK – Designing European Experiences, die kreative Formate zur Stärkung einer positiven europäischen Identität entwickelt. Ihr Projekt „Routes – die Europareise mitten in Wien wurde mit dem Europa-Staatspreis, dem Europäischen Bürgerpreis des Europäischen Parlaments und dem Innovationsaward des Corps Touristique ausgezeichnet. MOSAIK designte unter anderem Veranstaltungen für das Österreichische Bundeskanzleramt, EUSALP oder die Stadt Kassel. Moser hält Keynote-Vorträge zur emotionalen Vermittlung Europas und gibt Workshops zu kreativem Eventmanagement.