Politik der Bürger

Wir reden zwar alle darüber, aber das heißt nicht, dass es viel davon gäbe: Innovation und Fortschritt. Vor allem einen Gesellschaftsbereich haben wir in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt, wenn es darum geht, alte Strukturen aufzubrechen und Neues zu wagen: unsere Demokratie.

Von Philippe Narval

Nach Brexit, Trump und dem Aufstieg autoritärer Anti-Demokraten wie Viktor Orbán auch im Herzen Europas ist die sogenannte Krise der Demokratie zwar ein beliebtes Gesprächsthema. Aber mehr, als über die Unfähigkeit unserer Politiker zu jammern, fällt uns nicht ein. Viel zu lange haben wir Politik und demokratische Entscheidungsprozesse als statisch und unveränderbar gesehen und darauf vergessen, dass Strukturen kontinuierlich erneuert werden müssen, um relevant und wirkmächtig zu bleiben. Wenn Unternehmer auf diese Grundmaxime vergessen, bekommen sie schnell zu spüren, wie innovative Mitbewerber sie vom Markt verdrängen. Für den Kunden ist das per se etwas Gutes, und der kontinuierliche Wettbewerb macht auch den Reiz des Unternehmertums aus.

Wir haben aber nur eine Demokratie und einen Rechtsstaat. Und die Konkurrenten dieses Systems trachten nicht danach, etwas Neues oder Besseres anzubieten, sondern sie sind auf Zerstörung aus. Wo das endet, kann man unter anderem in Putins Russland beobachten. Es bleibt uns also nur eins: Dieses eine System von innen heraus zu verändern, und zwar alle miteinander. Auch hier unterscheidet sich die Demokratie vom Markt. Wir alle sind Teilhaber der Demokratie und Aktionäre der Freiheit – wenn wir das nicht begreifen, werden sie untergehen. Philipp Narval ist Generalsekretär des Europäischen Forum Alpbach. Er widmet sich als Vortragender, Kolumnist und Buchautor („Die freundliche Revolution – Wie wir gemeinsam die Demokratie retten“) regelmäßig Fragen in Bezug auf Partizipation, Transformation und Nachhaltigkeit. Sein Studium absolvierte er unter anderem am King’s College London und an der Universität Oxford.

Ein konkreter Schritt für die Erneuerung unserer Demokratie wäre, politische Entscheidungsprozesse offener und transparenter zu machen. Abseits von Wahlen muss es am Ende auch darum gehen, Bürger wieder stärker in Entscheidungsprozesse einzubinden. Anders als man vielleicht glauben möchte, werden in Europa schon unzählige Pionierprojekte in der Praxis erprobt: offene, digitale Gesetzgebungsprozesse in Frankreich etwa oder partizipative Bürgerhaushalte in deutschen und österreichischen Kommunen. Das spannendste Bespiel für konkrete Politikinnovation, das mir in den Recherchen für mein Buch „Die freundliche Revolution“ untergekommen ist, sind Bürgerräte. Der Bürgerrat ist ein robustes Modell, das bewiesen hat, dass Bürger der Politik weit voraus sein können, wenn es darum geht, bei hochemotionalen Themen konstruktiv und sachlich miteinander zu arbeiten.

Erstmals auf nationaler Ebene in Irland zwischen 2012 und 2016 angewendet, belegt das Modell Bürgerrat, dass ein Gremium bestehend aus Bürgern, die per Losverfahren ausgewählt wurden, unter Hinzuziehung von Experten konstruktive Reformvorschläge machen kann. Konfliktgeladene Fragen, über die die Politik alleine nicht entscheiden kann oder will, erscheinen in einem anderen Licht, wenn Bürger sie ohne Hintergedanken und Beeinflussung von Interessengruppen beleuchten. Bürgerräte sind dabei keine Konkurrenz zur Arbeit der Parlamente, denn die Empfehlungen der Bürger sind noch weit entfernt von konkreten und durchdachten Gesetzesentwürfen. Im Gegenteil: Am Ende helfen sie der Politik mit sachlichen, fundierten und kompromissbereiten Vorgaben.

Über den Autor: 

Philippe Narval ist Generalsekretär des Europäischen Forum Alpbach. Er widmet sich als Vortragender, Kolumnist und Buchautor („Die freundliche Revolution – Wie wir gemeinsam die Demokratie retten“) regelmäßig Fragen in Bezug auf Partizipation, Transformation und Nachhaltigkeit. Sein Studium absolvierte er unter anderem am King’s College London und an der Universität Oxford.

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