Warum Innovation ganzheitlich gedacht werden muss

Bisher habe ich zweimal im Silicon Valley gelebt und habe in dieser Zeit unterschiedliche Phasen der Start-up-Szene erlebt: direkt nach dem Crash der ersten „Dotcom-Blase“ und während einer Zeit scheinbar unbegrenzten Wachstums, angefeuert durch ein historisch niedriges Zinsniveau in Verbindung mit Kapital, das nach ertragreichen Anlageoptionen sucht.

Von Joerg Geier

Jegliche Kritik unbegrenzten Wachstums führt bei Befürwortern einer unnachgiebigen Wachstums- und damit einhergehenden Niedrigzinspolitik oftmals zu Unverständnis. Einher mit einem renditeorientierten Denken zum Stimulieren der Konjunktur geht oft- mals der Duktus, dass die menschliche Schaffenskraft schon alle irdischen Probleme beheben und diese in wirtschaftliches Potenzial verwandeln wird: technologische Innovation als Allheilmittel. Hierbei lohnt es sich, genauer hinzuschauen, um einen möglichst ganzheitlichen Ansatz zu finden, so dass Innovation nicht zum Selbstzweck wird, sondern integriert wird in eine Welt mit natürlichen Grenzen, in der lineares Denken im schlimmsten Fall zu irreversiblen Konsequenzen führt.

Der ehemalige Weltbank-Ökonom Herman Daly spricht in diesem Zusammenhang von einer „vollen Welt“, welche die Voraussetzungen der neoklassischen Theorie (und damit der „leeren Welt“) auf den Kopf stellt. Damit ist gemeint, dass durch mehr Mitteleinsatz (z. B. Anzahl der Fischerboote und Fischer) der Güterertrag nicht mehr zwangsläufig erhöht werden kann (z. B. wegen Überfischung der Bestände, vgl. Abb. 1). Die Regeneration der Fischbestände oder Quali- tät der Gewässer beansprucht Zeit oder kostet Geld. Der limitierende Faktor ist nicht mehr die Ressource Mensch (Fischer) oder Güter (Boote, Netze etc.), sondern stattdessen das Naturkapital. Analogien hierzu lassen sich unter anderem zu Luft (Klima) und Land (Biodiversität) ziehen. Auch hier wirken sich Externalitäten negativ auf das Naturkapital aus und mindern somit die Qualität und langfristig den Ertrag.

Warum aber ist es wichtig und langfristig auch finanziell lukrativ, strategisch über den Tellerrand hinauszublicken und den Grad der Innovation systemisch und damit nachhaltig zu betrachten?

Die heutige Verwendung des Begriffs Innovation (vom lateinischen Verb innovare, also erneuern) geht auf den österreichischen Ökonomen Joseph Alois Schumpeter zurück. Im Zentrum steht der Unternehmer, der durch „schöpferische Zerstörung“ technische oder organisatorische Neuerungen im Produktionsprozess durchsetzt. Clayton Christensen spricht daran angelehnt von „disruptiver Innovation“ als Prozess, bei dem ein kleines Unternehmen mit geringeren Ressourcen, häufig ein Start-up, etablierte Unternehmen herausfordert. Während sich etablierte Unternehmen auf inkrementelle Produktverbesserungen für ihre gut zahlende Klientel konzentrieren, ignorieren sie oftmals die Bedürfnisse anderer (weniger rentabler) Kundensegmente, die schließlich von den Innovatoren angegangen werden. „Es ist nicht überflüssig, zu betonen, dass alles miteinander verbunden ist. […] Einfach nur eine technische Lösung für jedes auftretende Umweltproblem zu suchen bedeutet, Dinge zu isolieren, die in der Wirklichkeit miteinander verknüpft sind, und die wahren und tiefsten Probleme des weltweiten Systems zu verbergen.” (Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si’, Kapitel 4, Para. 138/Kapitel 3, Para. 111)

Innovationen bringen, insbesondere wenn sie ökologische Belange berücksichtigen, Effizienzsteigerungen mit sich. Während sich diese positiv auf die Kosten für Produkte oder Dienstleistungen auswirken können, beeinflussen sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch das Nutzerverhalten: Durch einen höheren Verbrauch werden die ursprünglichen Einsparungen teilweise wieder aufgehoben. Dieser Effekt wird „Rebound“ genannt. Ein Beispiel dafür sind sparsamere Autos, die auch in den Anschaffungskosten günstig sind. Da der Verbrauch pro Kilometer geringer ist, wird damit eventuell auch mehr gefahren, anstatt in die Bahn oder auf das Fahrrad umzusteigen. Während das Pkw-Beispiel vielleicht augenscheinlicher ist, wenn es sich um einen Benziner handelt, trifft es auch auf den neuen Tesla zu: Um die Batterien mit großer Reichweite herzustellen und die nötige Ladeinfrastruktur zu installieren, wird nicht nur jede Menge Energie benötigt, wobei der Strom vielleicht noch nicht einmal aus Wind und Sonne gewonnen wird; die ökologischen Auswirkungen aufgrund der für die Batterieherstellung nötigen Rohstoffe sind ebenfalls drastisch. Dementsprechend fallen die technisch möglichen Effizienzgewinne, mit denen Hersteller gerne werben, in der Summe häufig niedriger aus als erwartet.

Es lohnt sich, einen möglichst ganzheitlichen Ansatz zu finden, so dass Innovation nicht zum Selbstzweck wird, sondern integriert wird in eine Welt mit natürlichen Grenzen, in der lineares Denken im schlimmsten Falle zu irreversiblen Konsequenzen führt.

Aus diesem Grund sind vorausschauende ordnungspolitische Maßnahmen (wie ein Emissionshandel oder eine CO -Steuer) wichtig, die darauf abzielen, auf der einen Seite Rebound-Effekte mit einzuplanen und negativen Konsequenzen möglichst früh entgegenzuwirken und auf der anderen Seite Anreiz für ökologisch nachhaltige Innovation zu schaffen.

Spätestens dann machen sich systemische Innovationen auch in Form der Eigenkapitalrendite sichtbar und tragen somit nicht nur langfristig zur Innovationskraft mit bei, sondern leisten auch einen wertvollen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nachhaltigkeitsziele („Sustainable Development Goals – SDGs“) der Vereinten Nationen. Beispiele für nachhaltige Neuerungen, die grüne Herzen höherschlagen lassen und dennoch hohe Renditen versprechen, gibt es zunehmend. Der Teppichhersteller Interface achtet stark auf zirkuläres Denken und vermeidet somit herkömmliche Probleme industriell gefertigter Teppichwaren, die große Mengen an Erdöl verschlingen. Die Verwendung erneuerbarer Energien und geschlossener Wasserkreisläufe sowie die Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe verbessern die Energiebilanz entscheidend. Tetra Pak entwickelte die biobasierte Tetra-Rex-Verpackung, die weltweit erste Kartonverpackung, deren Verpackungsmaterial komplett aus organischen Rohstoffen (basierend auf Zuckerrohr) besteht. Integrierte Materialkreisläufe finden sich in fast allen Branchen und schließen Industrie- wie auch Konsumgüter mit ein. Früh ganzheitlich zu denken wird so zum klaren Wettbewerbsvorteil.

* Referenzen: Christensen, C.M. et al. What Is Disruptive Innovation? In: Harvard Business Review. The Softer Side of Negotiation. December 2015. Daly, H. Economics for a Full World. Great Transition Initiative. Juni 2015. Endres, A. Rebound-Effekt: Das unterschätzte Paradoxon der Klimapolitik. In: ZEIT ONLINE. 18.04.2012. Papst Franziskus. Enzyklika Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Rom 24.05.2015. Schumpeter, J.A. Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Leipzig 1912. 8°. VIII u. 548 SS UN: About the Sustainable Development Goals. URL: www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/ (15.10.2019)

Über den Autor: 

JOERG GEIER ist freier Berater (nachhaltige Ökosysteme) und Mitglied im Club of Rome.

 

4 1 vote
RATING

Was denkst Du? Teile Deine Gedanken und Erfahrungen mit der Wemorrow Community!

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x

Good Impact is our State of Mind. Und Deiner?

Eine gute Zukunft, braucht eine bessere Wirtschaft. Wir liefern wertvolle Inspirationen, praktische Lösungen und ehrliche Einblicke für die nachhaltige Transformation des Mittelstandes — am Weg zur Good Impact Economy.