Von Verena Ringler
Jean Monnet hat die EU erfunden und gestartet. Ein Träumer, Sohn eines Cognac-Herstellers in Frankreich mit großer Liebe zur Natur und fundamentaler Abneigung von Krieg, guten Englischkenntnissen, schier endloser innerer Freiheit und herausragendem sozialen Geschick. Ohne, dass Monnet Mitglied einer Regierung, Partei oder Bürokratie war, quasi als Freelancer, nahm er sich vor, Europas Herzstück des Krieges – die Kohle- und Stahlindustrie – in eine Maschinerie des Friedens zu verwandeln. Von 1945 bis 1950 brachte er die wahrlich selbstbewussten französische Kohl- und Stahlindustrielle in einem Raum mit ihren deutschen „Kollegen“ – buchstäblichen Erzfeinden! Sie kamen wiederholt zusammen, sprachen miteinander, vereinbarten schließlich die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion beider Länder. Stoff, aus dem die weltpolitischen Fantasien gewebt sind. Was blieb, kennen wir heute als „Schumann Plan“, an dessen Präsentation wir uns heute jeden 9. Mai am offiziellen Europatag erinnern. Monnets Zusammenkünfte im Hintergrund gelten bis heute als Sternstunde von Fortschritt, mit fortwährender Gültigkeit.
Fortschrittlich war einerseits das Sachziel, durch die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlindustrien Frankreichs und Deutschlands einen Piloten, einen Prototypen und schließlich den „proof of concept“ für Mehrwert und Erdbebensicherheit europäischer Zusammenarbeit zu schaffen. Die Kohle- und Stahlgemeinschaft zeigte: Für sämtliche Felder kann materieller und immaterieller Fortschritt erzielt werden, wenn ein europäisches, langfristiges Mandat über die nationalen, partikularen Interessen gelegt wird. Dieses langfristige Mandat hat bis heute die Europäische Kommission inne. In Zeiten, wo sie stark ist, geht mit Europa viel weiter (etwa unter dem Kommissionspräsidenten Jacques Delors). In Zeiten, wo die nationalen Regierungen stärker sind, verliert Europa erfahrungsgemäß Zeit, Geld, Gewicht, Akzeptanz und Potenzial (etwa im vergangenen Jahrzehnt seit der Euro- und Staatsschuldenkrise).
Fortschrittlich war an der Gründung der EU auch die Methode. Monnet agierte aus einer empathischen Haltung heraus. Er pflegte das, was Unternehmen als iterative und achtsame Führung propagieren. Zu dieser Leistung des Netzwerkers Monnet kam sein geschicktes Zusammenspiel mit dem „Verkäufer“ der Idee, des Außenministers Robert Schuman. Das Duo zeigt uns: Jedem Gelingen Europas wohnt auch heu- te das Zusammenspiel lauter und leiser, großer und kleiner, zentraler und peripherer, alter und neuer Kräfte inne. Eine Einladung zu Allianzen zwischen Privatwirtschaft und Schulstreikenden.
Über die Autorin:
Verena Ringler leitet die Projektboutique European Commons, um Akteure aus Diplomatie, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Dialog zu bringen. Ihren nutzerorientierten und multidisziplinären Zugang zu Europas Zukunftsthemen entwickelte sie im Magazinjournalismus, der Diplomatie und dem Stiftungswesen. Ringler schloss Studien an der Johns Hopkins University / SAIS (2002), den Universitäten Innsbruck und Uppsala (1999) sowie den Lehrgang Magazinjournalismus an der Universität Wien (1998) ab. Sie veröffentlichte mehr als 300 Beiträge zu Europa und der Welt. Sie ist unter anderem Ratsmitglied des European Policy Centre (EPC) und des European Forum Alpbach
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