Zerbricht Europa an unserer Ignoranz?

Es war klar am Morgen des 9. November 2016 nach der letzten US-Präsidentschaftswahl. Nichts würde so sein wie zuvor.

Von Sonja Stuchtey

Hatte ich, Teil der Generation “Ende der Geschichte”, mich nach 9/11 wieder ganz beruhigt in mein Leben als Consultant und Investor im lässigen Techsoktor eingerichtet, konnte ich die Augen nun nicht mehr verschließen. Unmissverständlich hämmerte die Botschaft in meinem Kopf: Jetzt sind wir gefragt.

Die expliziten Vorwürfe an meine Großeltern, wo sie gewesen seien, als sich das Unheil der 1930er-Jahre abzeichnete, als sichtbar wurde, dass die neuen politischen Parolen die Grenzen des gesellschaftlich Erlaubten und Sagbaren verschoben, waren wieder wach an jenem Mittwochmorgen. Der Brexit, die xenophoben Parolen auf Europas Straßen, der eigenartige und unverständliche Wahlkampf in den USA und jetzt ein US-Präsident ohne Bekenntnis zu Geschichte, Verfassung oder Gemeinwohl. Mir war klar: „Business as usual“ ist nicht mehr möglich. Und nicht nur mir! In Frankfurt bewegte „Pulse of Europe“ Menschen wie mich. Uns einte die Überzeugung, dass Europa als grenzübergreifende Gemeinschaft und einzigartiges Friedensprojekt das natürliche Mittel zur Entschärfung der Lage ist.

Immer mehr Initiativen entstanden getrieben aus ähnlichen Motiven, immer bunter wurden die Ideen – und immer fragmentierter. Das eigentliche Ziel drohte im Wettkampf um die bessere Initiative, mehr Zulauf und mehr finanzielle Unterstützung zu verschwimmen. In diese Situation hinein platzte Trumps verstoßener Berater Stephen Bannon mit seiner groß angelegten Unterstützung für ein neues, nationalistisch gepräg- tes Europa. Einigkeit bei den ideologischen Grenzzie- hern rechts außen, während sich das Europa der Mitte „united in diversity“ nicht zusammenfinden kann? Sich voneinander abgrenzt? Das forderte eine Allianz der Pro-Europäer, eine strategische Zusammenarbeit. Nach regem Austausch mit alten und neuen pro-europäischen Bewegungen und Gruppen, mit Bürgern mit und ohne politischem Interesse, mit Stiftungen und Wirtschaftstreibenden war sie geboren: die Alliance4Europe – eine Plattform ohne eigene Ambitionen der politischen Gestaltung oder Positionierung. Sie fungiert als Unterstützer, als analytisches Rückgrat, als Steigbügelhalter und Verstärker für gute Ideen und Aktionen aus den Reihen der pro-europäischen Aktivisten.

Verhalten zeigen sich bisher jedoch zahlreiche Unternehmen und Unternehmer. Sie wissen, dass ihr Geschäftserfolg maßgeblich von einem funktionierenden Europa abhängt, sehen die Bedrohung und beziehen dennoch nicht Position. Doch in Zeiten, in denen es der Politik an Entscheidungsfähigkeit mangelt und in denen komplexe Zusammenhänge verunsichern, braucht es Bestimmtheit und den Schulterschluss der Gesellschaft. Denn: Wie sind mehr, die für Rechtsstaatlichkeit, für Meinungsfreiheit und Einheit in Vielfalt stehen. Und wenn uns unsere Enkel fragen, wie das damals war, als beinahe ihre Zukunft auf dem Spiel stand und Europa zu zerbrechen drohte, dann wollen wir eine gute Antwort haben.

Sonja Stuchtey

Über die Autorin: 

Sonja Stuchtey hat als preisgekrönte Sozialunternehmerin Maßstäbe in der naturwissenschaftlichen Bildung gesetzt und ein Beispiel für die Verbreitung eines NGO-Konzepts im Social-Franchise geliefert. Ihre Kindersachbücher zum Thema sind Bestseller und gehören mittlerweile in den Ausbildungskanon für Elementarpädagogen. Seit 2016 unterstützt und begleitet sie Start-ups vor allem im Technologiesektor in verschiedenen Bereichen der Geschäftsführung und insbesondere in der Finanzierung. Die Alliance4Europe gemeinnützige GmbH leitet sie als geschäftsführende Gesellschafterin seit November 2018.

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