Gestern war ich zu Gast bei einer Live Radio- Aufzeichnung im ORF Radiokulturhaus. Zu Gast in der Ö1 Sendung “Im Zeitraum” von Johannes Kaup diesmal: Harald Welzer, Autor, Professor am Norbert Elias Center for Transformation Design & Research an der Universität Flensburg und Gründer der futurzwei Stiftung für Zukunftsfähigkeit. Für mich ein brillanter Denker, der oft messerscharf, immer mit Humor und seiner sozialpsychologischen Sicht, Dinge einfach beim Namen nennt. Schon als vor über 10 Jahren Gast bei unserer Ideenalm im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach war.
Sein aktuelles Buch “Nachruf auf mich selbst”, das er nach einem Herzinfarkt geschrieben hat, ist sowohl persönlich, als auch aus gesellschaftlicher Sicht, eine lohnende Lektüre. Im Kern der Appell zum bewussten Aufhören, anstatt des verzweifelten Reparierens von kaputten Systemen. Eine (Nach)Hörempfehlung für alle, die sich mit der Transformation von Systemen und der nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaft beschäftigen.
Im Anschluss zum Gespräch – so gebietet es die Etikette – gab es die Möglichkeit für Publikumsfragen. Ein Moment, bei dem ich pessimistisch tief durchatme. Denn: Nach dem Besuch von mindestens 500 Konferenzen und Podiumsdiskussionen, erwarte ich mir von dieser Einladung zum weiterführenden Diskurs wenig. Und selbst beim – vermutlich primär akademischem – Publikum im ORF Radiokulturhaus kam, was kommen musste. Eine Ansammlung von Ergänzungen, eigenen Positionen oder emotionalen Reaktionen – ohne wirkliche Fragestellung.
Passend, dass Harald Welzer schon im vorangegangenen Gespräch sein Misstrauen gegenüber einem automatischen Vertrauensvorschuss für formal gebildete Menschen ausdrückte, was deren moralische Überlegenheit betrifft. Formale Bildung bleibt ein Indikator für Klugheit, aber keine Garantie.
Doch warum ist es – augenscheinlich – so schwierig gute Fragen zu stellen? Oder versuchen es die Menschen überhaupt nicht? So sehr ich – menschlich – das Bedürfnis nach Resonanz und Sichtbarkeit nachvollziehen kann, wie gelingt es allen so vortrefflich auszublenden, dass der Rest des Publikums die Augen verdreht und genervt erduldet, dass jemand öffentlich und ohne Scham sein Ego streicheln muss?
Gerade in diesen Zeiten der multiplen Systemkrisen erscheint mir die Kunst, kluge Fragen zu stellen, die einen wertvollen Diskurs befeuern können und so für neue Perspektiven sorgen, als edelmütige Gabe. Gerade im Kontrast zu einer digital radikalisierten Selbstdarstellungskultur. Bei einer richtig guten Frage tritt das Ich in den Hintergrund und dient voll und ganz der Freude am Gewinnen von neuen Erkenntnissen. Gute Fragen zu formulieren, vielleicht sogar noch spontan, ist eine komplexe, antizipatorische Fähigkeit, die mir auch bei den meisten Fernseh- Interviews fehlt. Die klassische Armin Wolf (ORF Nachrichtensprecher) Frage “Warum ist das so?”, langweilt mich persönlich schon seit einem Jahrzehnt. Auch sie steigert den qualitativen Output des Gespräches selten bis nie. Sie mag zu unterhaltsamen Momenten mit wortkargen PolitikerInnen führen, doch mein Anspruch ist hier ein anderer.
Gute Fragen sind eine Kunst und ein mächtiges Werkzeug, um in schwierigen und komplexen Gesellschaftsthemen weiter zu kommen. Das gilt gleichermaßen für das Umfeld von Teams in Unternehmen. Die richtigen Fragen sind am Ende des Tages immer wertvoller, als die falschen Antworten.
Da geht was.