Strategie ist kein Solokonzert

Strategie ist keine Produktion von totem Papier, sondern die lebendige Aufführung und Umsetzung.

Von Bernhard Kerres

Eine Partitur eines großen Solokonzerts in den Händen zu halten, ist unglaublich faszinierend. Ehrfurcht erfüllt einen. Wer hat da nicht eines der großen Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens im Ohr? Und Beethoven hat es doch tatsächlich geschafft, all die großartigen musikalischen Ideen in ein rigides System von nur fünf Zeilen zu pressen, sodass jedes Orchester, jeder Pianist und jeder Dirigent sein großartiges Werk mit nur wenigen Proben gemeinsam zur Aufführung bringen kann. Wie oft hätte ich mir gewünscht, solche Reports über Strategieprojekte schreiben zu können, als ich noch in der Beratung bei Booz & Co war.

Partituren und Strategiepapiere haben eines gemeinsam: dass sie in Schubladen verstauben, wenn sie nicht jemand zum Leben erweckt. Strategiepapiere ereilt dieses Schicksal signifikant öfter. Strategie ist nicht ein Papier, das gut versteckt ist, sondern die Aufführung eines großartigen Konzertes. Dazu gehört mehr als nur die Partitur. Viel mehr.

Und dann gibt es Musik, die ganz ohne Partitur auskommt, wo Musik einfach gelebt und gespielt wird – den Jazz! Wie im Jazz so sind in der Alten Musik Partituren nur rudimentär vorhanden, weil man auf das Wissen und Können der Ausführenden setzen konnte. Wie wäre es, wenn wir dazu auch in der Strategieentwicklung zurückkommen? Warum vertrauen wir nicht auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Glauben wir wirklich, dass die Hohen Priester der Strategieberatung, gehüllt in feinstes italienisches Tuch, die in unverständlicher Sprache ihren eigenen Kult zelebrieren, mehr über unser Unternehmen wissen als wir selbst?
Strategie im digitalen Zeitalter hat mehr mit Jazz zu tun als mit 250 Jahren verstaubter Klassik. Daher sollten wir uns in der Strategieentwicklung und -umsetzung auch mehr mit den Werkzeugen des Jazz auseinandersetzen als mit einem elitären Kult.

Natürlich hat jedes Jazzstück eine Richtung, eine Vision. Das braucht die Strategie ebenso. Aber wie lebendig kann das Finden dieser Richtung sein, wenn nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebunden sind, sondern auch Lieferanten, Kunden, Investoren, Menschen an unseren Standorten, Querdenker und andere?

Ein Hackathon kann ein guter erster Schritt sein. Dieser gehört in ein Programm eingebettet, das sich darauf konzentriert, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie einzuladen und zu motivieren. Neue Organisations- formen, klassische Trainings, Überdenken des bis- herigen Arbeitsalltags, Mentoring und Coaching sind nur einige der hilfreichen Werkzeuge dazu.

Wie gut das funktioniert, zeigen gerade die Orchester, wo die Musikerinnen und Musiker nicht nur einfach die Musik spielen, sondern wo es einen regen Austausch zwischen Dirigent, Solist, Orchester – und Publikum! – gibt. Solche Sternstunden kann man derzeit in der Zusammenarbeit zwischen den Wiener Philharmonikern und Christian Thielemann bewundern, wo eine von Respekt und Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit Ungeahntes möglich macht. Aber genauso sieht man solche Momente in den Aufführungen guter Jugendorchester, wo die Zusammenarbeit viel enger und intensiver ist als in vielen Berufsorchestern.

Bernhard Kerres by Andrej Grilc-03405

Über den Autor: 

Bernhard Kerres war der erste Opernsänger, der CEO eines börsennotierten Technologiekonzerns wurde, um als Intendant des Wiener Konzerthauses zur Musik zurückzukehren. Danach brachte er sein Start-up nach Silicon Valley. Heute begleitet er Unternehmen und UnternehmerInnen als Coach und Consultant zu Themen wie Innovation, Digitalisierung und Führung.

4 1 vote
RATING

Was denkst Du? Teile Deine Gedanken und Erfahrungen mit der Wemorrow Community!

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x

Good Impact is our State of Mind. Und Deiner?

Eine gute Zukunft, braucht eine bessere Wirtschaft. Wir liefern wertvolle Inspirationen, praktische Lösungen und ehrliche Einblicke für die nachhaltige Transformation des Mittelstandes — am Weg zur Good Impact Economy.